Digital Overload- oder der alltägliche Rausch durch fremde Leben

Kommen wir in modernen Internetzeiten unserem Denken eigentlich noch hinterher? Können wir gute Ideen überhaupt noch aufnehmen? Freunden wirklich zuhören? Inspirationen wirklich zur Inspiration nutzen? Oder taumeln wir nur noch planlos von einer Zerstreuung zur nächsten? Oftmals sicher positiver Natur, dennoch so schnell an uns vorbei, dass deren Umsetzung sich sofort wieder in Luft auflöst? Andere überflüssig, verletzend und fremdbestimmend, so lange vorgegaukelt, bis wir sie als Teil unseres Lebens wahrnehmen? Haben wir wirklich Anteil am Leben von Freunden, welches aus Instagrambildern und Links besteht? Und warum gucken wir überhaupt Menschen beim leben zu, die uns im besten Falle egal, im Schlimmsten sogar verhasst sind?

„Stay slow und lebe dein Leben, nicht das von Elke.“

6.30 Uhr Elke geht auf die Toilette. Dort auf dem Sitz hocken schon drei ihrer Freunde. „Guten Morgen, ist das hier nicht ein fantastischer Sonnenaufgang?“ begrüßt Lena aus Hamburg. Strahlend hält Ines der müden Elke ihre Overnight Oats mit Blaubeeren und einen grünen Smoothie unter die Nase: „Guck mal, mein Frühstück, voll gesund!“ „Ich sollte auch lieber sowas frühstücken als meinen Toast und Kaffee“ denkt Elke sich, während sie zeitgleich ihre Freundin Lisa bedauert, die sich gestern beim Bowling die Schulter verdreht hat. „Lisa- schmerzerfüllt hier: Bowlinghalle Saarbrücken.“ Zum Toastfrühstück mit schlechtem Gewissen ob der gesunden Ernährungsgewohnheiten ihrer Freunde nimmt sich Elke noch eine Banane. Da stolpert Freund Mark in die Küche: „Weisst du eigentlich, dass diese Banane um den halben Globus geschifft ist, mit giftigen Pestiziden behandelt, in meeresverseuchendes Plastik verpackt und von Kindern geerntet wurde?“ „Nächstes Mal kaufe ich nur noch Bio und Fairtrade“ verspricht sie Mark noch.

8.00 Uhr Elke macht sich auf zur Arbeit. Als sie ins Auto steigt, radelt Leon an ihr vorbei: „10 000 Schritte am Tag sollten es schon sein, lauf doch mal zur Arbeit. Sonst kriegst du nachher noch einen Herzinfarkt.“ Elke ist an diesem Tag zu spät dran, verspricht aber, morgen wenigstens mal mit dem Fahrrad zu fahren. Wenn das Wetter mitspielt. 

10 Uhr Uhr Direkt schaut sie in der Frühstückspause nach dem Wetter im Internet. „Sturmböen und Hagelschauern erwartet, Unwetterwarnung der Stärke 10“ liest sie auf einer Wetterwebsite. Zeitgleich klickt sie noch ein paar Links zu vergangenen Wetterkatastrophen an, sieht umgestürzte Bäume, überschwemmte Dörfer und Tierkadaver auf den Weiden. Ein Kommentator erzählt im Hintergrund vom drohenden Klimawandel, Kommentare unter dem Video prognostizieren den baldigen Tod aller Menschen bis hin zu wüsten Drohungen und Verschwörungstheorien. Einer fragt zudem, wie man einen Napfkuchen am besten aus seiner Backform bekommt. Dutzende Links von Kuchenrezepten werden darunter gepostet. Die Mohn- Ananas- Torte klingt lecker“ denkt Elke noch, während sie gedankenverloren den letzten Bissen ihres Pausenbrotes in den Mund schiebt. 

12.30 Uhr Mittagspause, Anne erscheint im Büro: „Ich geht heute abend zu Alice Cooper“. „Ich geh zum Yoga, danach mit Jenny bei diesem neuen angesagten Thai essen und dann noch zum Nachtshopping“ klinkt sich Angie ein, die wortlos erschienen ist. „Angie mag ich überhaupt nicht“ denkt Elke noch. „Die muss immer voll angeben.“ Demonstrativ schiebt Elke auf Stichwort ihre neuen Schuhe, das neue Handy und ihr neues Auto ins Büro: „Guck mal, alles meins!“Doch es kommt noch schlimmer. Enzo fährt mit seinem Porsche direkt vor den Schreibtisch, baut sich vor drei leichtbekleideten Mädels am Kopierer auf: „Guck mal, die gehen alle heute abend mit mir ins Saunaparadies.“ Plötzlich steht auch noch ein Postbote im Raum: „Ich hab hier vier Einladungen für Sie.“ Die erste ist zur Kitaeröffnung „Lützelzwerge“ am kommenden Wochenende. Eine Weitere zum Nightshopping, von welchem schon Angie geschwärmt hat. „Ich hasse so Shoppingveranstaltungen. Und Kinder hab ich auch keine.“ Da sie auch schon die Einladung für eine Verkostung von einer hippen Limonade in einem 200 Kilometer entfernten Bioladen ausschlägt, hängt sie sich wenigsten die Festivaleinladung am kommenden Wochenende an die Pinnwand. „Das klingt doch mal toll“ denkt sie sich. 

16.30 Uhr Feierabend „Lisa- angsterfüllt hier Orthopädie Saarbrücken“ tönt es in ihre Gedanken. Ihr „Gute Besserungswunsch“ verschwindet hinter 22 Weiteren. Nochmal kurz das Wetter checken: Immer noch Wetterwarnungen, aber immerhin besser als in Bangladesch, da geht grade wieder die Welt unter. „Und da ist das Leben sowieso schlimm, die Menschen werden total ausgebeutet, keiner hilft ihnen, ich müsste mal was spenden“ denkt Elke. Das Stöhnen neben ihr registriert sie erst, als die alte Dame mit dem Einkaufskorb sich schon wieder aufgerappelt hat. Elke kann ihr grade noch einen beim Sturz entrollten Apfel aufheben, da steht auch schon Luzy daneben. „Unsere alten Menschen vereinsamen total, wir müssen uns um sie kümmern.“ Eine Gedankenanregung, die Elke zum Nachdenken bringt. Plötzlich tollt ein Kätzchen vorbei, ein Igel und eine Maus mit Superheldenkostümen im Schlepptau. „Wie witzig“ denkt sich Elke und sieht fasziniert dem Spektakel zu. Dem Trio folgt noch ein Känguru mit Jonglierbällen, ein Rudel Affen, die sich gegenseitig verhauen. Ein Boxkampf zwischen zwei Betrunkenen sieht nahezu identisch aus und die Sportergebnisse vom Boxkampf letzter Nacht die ein Passant zuruft interessieren auch nicht wirklich. 

18 Uhr „Ich habe Kürbis, Kartoffeln und Kokosmilch“ so die Abendessenplanung. „Mach doch ein Curry“ schlägt Indra vor. „Da brauchst du aber genau das lilapinke Madrascurry von Sternenliebe. Kriegst die genau hier!.“ Die haben ja auch Klamotten, denkt sich Elke und stöbert 1000 Pluderhosen und Kleider durch, kramt durch die Schuhabteilung und landet schließlich bei Möbeln und Hausrat. „Ich könnte auch mal wieder renovieren, mal gucken, was es für Ideen gibt.“ 

21.30 Uhr Magenknurren „Fürs Kochen ist jetzt auch zu spät, ist es überhaupt gesund, so spät noch zu essen?“ „Ich mach ja immer mal intermittierendes Fasten“ schlägt Juri vor. „Das ist total gesund, schau doch mal hier nach, da steht total viel Info.“ 

23 Uhr Elke geht mit knurrendem Magen, den sie notdürftig mit ein paar Nüssen versorgt hat, ins Bett. Die Nacht ist wirr, Lisa, Enzo, Ines, Luzy, Indra und Juri geistern durch Elkes Träume, zudem kombiniert sie Fastenwochen mit Spendenmarathons, die ihr am nächsten Morgen wie wirre Schnapsideen erscheinen. 

6.30 Uhr Der Wecker klingelt. „Ich muss umbedingt mal nachgucken, was man gegen schlechte Träume machen kann“, denkt sich Elke noch, während sie zur Toilette schlurft. Doch dort vergisst sie augenblicklich ihr Ansinnen. Dort hocken nämlich an diesem Morgen Leni, Sonja und Horst, die ihr allesamt von ihren Morgenritualen erzählen. 

Und was macht eigentlich ELKE? 

 

(sämtliche Personen und Orte sind natürlich frei erfunden und willkürlich gewählt)